Einigung zum Radentscheid
11.08.2022
Die Initiative Radentscheid Offenbach und die Stadt Offenbach wollen gemeinsam die Infrastruktur für den Radverkehr in Offenbach deutlich verbessern. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, zahlreiche kleinere und größere Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre umsetzen zu wollen. Zudem soll ein Umsetzungsbeirat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verwaltung, Radentscheid, ADFC, VCD, Handwerkskammer, IHK und ADAC eingerichtet werden. In einem Grundsatzbeschluss hat der Magistrat der Vereinbarung und dem Umsetzungsbeirat am 3. August zugestimmt. In dieser Vereinbarung verpflichtet sich die Stadt, jährlich rund 600.000 Euro eigene Mittel für Planung und Umsetzung in Form von Markierung, Beschilderung und gegebenenfalls Baumaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Der ESO erhält weiterhin ein jährliches Budget für die Instandhaltung der Radinfrastruktur, Winterdienst und Reinigung. Eine zusätzliche Personalstelle im Amt für Mobilität soll darüber hinaus die konkreten Maßnahmen und Aufgaben schrittweise umsetzen – vorbehaltlich der Möglichkeit, diese zu finanzieren. Dabei geht es auch um viele kleinere und kostengünstige Verbesserungen, die beispielsweise stark befahrene Knotenpunkte für die Radfahrenden sicherer machen.
„Wir wollen als Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern das Radfahren in Offenbach komfortabler und sicherer machen“, teilt Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Sabine Groß mit: „Die Stadt und der Radentscheid teilen die selben Interessen, um angesichts des Klimawandels und der vielen Staus den Umstieg aufs Fahrrad zu erleichtern. Deshalb haben wir vereinbart, auf Grundlage der vereinbarten Ziele weiterhin eng zusammenzuarbeiten, um alle Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe auszurichten. Der öffentliche Raum ist begrenzt und wir müssen schauen, dass wir eine Gleichberechtigung zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern erreichen.“ Sabine Groß betont, dass die Stadt bereits seit vielen Jahren vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Luftreinhaltung in die notwendige Verkehrswende investiert – so etwa in den Ausbau von Radwegen, Fahrradstraßen und überdachte Abstellanlagen. Auch die Öffnung der Einbahnstraßen und der Fußgängerzone für Radfahrende zählt dazu.
„Aufgrund der Haushaltslage der Stadt gehen diese Maßnahmen vielen Menschen verständlicherweise nicht schnell und nicht weit genug“, weiß Stadtkämmerer Martin Wilhelm. „Natürlich hat sich auch die Initiative Radentscheid deutlich mehr erhofft, wir können aber angesichts der Haushaltsprobleme der Stadt erst einmal nicht noch weitere Stellen und zusätzliche Millionenbeträge für die Förderung des Radverkehrs zusichern.“ Außerdem gilt es, in die Instandhaltung von Straßen und Gehwegen zu investieren – zum Vorteil für alle Verkehrsteilnehmende. „Durch die vereinbarte weitere Zusammenarbeit mit dem Radentscheid, also mit Offenbacherinnen und Offenbachern, die tagtäglich viele Wege auf dem Fahrrad bewältigen, können wir aber die begrenzten finanziellen Mittel der Stadt für den Radverkehr zielgenau einzusetzen: überall dort, wo es für die Radfahrenden am wichtigsten und sinnvollsten ist, um den Alltag auf dem Rad zu erleichtern und möglichst viele Wege ohne schädliche Emissionen zurücklegen zu können.“ Radverkehrsmaßnahmen werden häufig zu 80 oder 90 Prozent von Bund und Land gefördert. Die Differenz ist als Eigenanteil durch die Kommune zu tragen. Die jährlich 600.000 Euro eingeplanten Haushaltsmittel der Stadt Offenbach werden für diesen erforderlichen Eigenanteil genutzt.
Für Jochen Teichmann, Sprecher des Radentscheids, ist die Vereinbarung mit der Stadt ein wichtiger Schritt in Richtung Verkehrswende: „Nicht alle unsere Forderungen konnten erfüllt werden. Wir haben uns jetzt auf sehr sinnvolle Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre geeinigt, die es ermöglichen, ein durchgängiges leistungsfähiges Radnetz aufzubauen. Damit ermöglichen und erleichtern wir die Mobilität für alle Radfahrenden, darunter insbesondere auch für Kinder und Senioren. Menschen mit eingeschränkter Mobilität und speziell angefertigten Rädern sowie Elektrorollstühlen können diese Radwege auch sicherer nutzen.“ Neben dem inklusiven Ansatz erachtet Teichmann auch den Umsetzungsbeirat als großen Gewinn: „Hier wird Bürgerbeteiligung verankert für die vielen Menschen, die sich für den Ausbau der Radinfrastruktur interessieren“, betont Teichmann und verweist auf die rund 4.500 gültigen Unterschriften für den Radentscheid. „Wir wünschen uns, dass die Sofortmaßnahmen in der Vereinbarung zeitnah in die Umsetzung gehen und wir nach fünf Jahren insgesamt auf sehr positive Veränderungen zurückblicken können.“
Lisa Wagner, langjährige Radverkehrsplanerin und fest eingebunden im achtköpfigen Verhandlungsteam des Radentscheids, schaut auf die intensive, ehrenamtliche Arbeit der vergangenen vier Monate zurück: „Gemeinsam mit dem Verhandlungsteam der Stadt Offenbach haben wir ein gutes Ergebnis für eine fahrradfreundliche Stadt Offenbach erstellen können. Ich bin überzeugt, dass auch mit geringen finanziellen Möglichkeiten und dem Drehen der richtigen Stellschrauben viel realisiert werden kann.“
Ausbau der Radinfrastruktur
Die Vereinbarung enthält zahlreiche Maßnahmen, die das Radfahren sicherer und komfortabler machen sollen. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen, die jedoch alle noch einer vertieften fachlichen Prüfung unterzogen werden müssen:
Auf der Waldstraße soll eine eigene Radfahrspur in jede Richtung entstehen. Die Planungen für eine grundlegende Neuaufteilung des Straßenraums sollen noch in diesem Jahr beginnen. Als Sofortmaßnahme ist ein Verkehrsversuch mit der Markierung einer reservierten Spur für Fahrräder vorgesehen. Ebenfalls eine eigene Radspur oder zumindest Schutzstreifen sollen auf der Frankfurter Straße zwischen Kaiserstraße und August-Bebel-Ring entstehen. Um die gefährliche Situation für Radfahrende auf den Straßenbahnschienen zu entschärfen, soll das Längsparken an diesen Stellen bereits als Sofortmaßnahme verboten werden. Langfristig ist eine umfassende Sanierung der Frankfurter Straße vorgesehen, gegebenenfalls mit oder ohne Straßenbahnverlängerung von der Stadtgrenze.
Auf der Unteren Grenzstraße soll zwischen Ostbahnhof und Clariant-Gelände ein beidseitig baulich getrennter Radweg entstehen. Ein Radschnellweg ist auf der Mühlheimer Straße zwischen Ulmenstraße und Untere Grenzstraße vorgesehen, kurzfristig sollen die Markierungen für „Schutzstreifen“ aufgefrischt werden.
Auf der Bieberer Straße soll die Einbahnstraße zwischen Marktplatz und Wilhelmsplatz für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet werden. Weiterhin sind kleinere Maßnahmen für eine erhöhte Sicherheit vor Ein- und Ausfahrten vorgesehen. Auch eine Radfahrspur stadteinwärts enthält der Katalog. Weitere Radfahrstreifen, Radfahrspuren oder Radwege sollen auf der Aschaffenburger Straße, der Seligenstädter Straße, der Sprendlinger Landstraße, dem Landgrafenring, dem Friedrichsring, der Erich-Ollenhauer-Straße, der Schloßgartenstraße, dem Lämmerspieler Weg (Laskabrücke bis An den Eichen) und der Eberhard-v.-Rochow-Straße sowie dem Bischofsheimer Weg entstehen.
Zusätzlich sollen zahlreiche Anpassungen an den bestehenden Fahrradstraßen den teils hohen Durchgangsverkehr verringern. Außerdem zielen viele Maßnahmen darauf ab, durch ein Mehr an Sicherheit die Nutzung durch Radfahrende zu erhöhen. Dafür sollen beispielsweise Kreuzungsbereiche umgestaltet, Parkplätze reduziert, Ampelschaltungen angepasst und Querungshilfen geschaffen werden. Die Maßnahmen für den Radverkehr sollen – sofern vorhanden – mit bestehenden Busstreifen verknüpft werden. All diese und weitere Maßnahmen gilt es im Folgenden gemeinsam zu prüfen sowie zu konkretisieren, um Offenbach zu einer fahrradfreundlichen Stadt umzugestalten.
Immer mehr Menschen auf dem Fahrrad unterwegs
Dass die Stadt Offenbach den Interessen der Radfahrerinnen und Radfahrern mehr Bedeutung beimisst, ist auch das Ergebnis einer zunehmenden Nutzung des Fahrrades. Die Fahrradzählstation am Mainufer beispielsweise verzeichnet seit 2019 eine deutliche Zunahme des Radverkehrs. 2019 waren es insgesamt 509.345 Radfahrende und damit im Schnitt 1.395 pro Tag. 2020 stieg die Zahl der Radfahrenden auf 690.205 (1.890 pro Tag), allein in diesem Jahr wurden bis Mitte Juli schon mehr als 437.000 Radfahrende gezählt (rund 2.230 pro Tag). Auch die Studie „Mobilität in Deutschland“ zeigt, dass der Radverkehrsanteil allmählich zunimmt: von 9 Prozent im Jahr 2008 auf 11 Prozent im Jahr 2017. „Das ist uns insgesamt noch zu wenig. Wir möchten und müssen diesen Anteil weiter erhöhen, um die Stadt vor einem Verkehrsinfarkt zu bewahren und die schädlichen Auswirkungen des Autoverkehrs auf die Gesundheit und das Klima zu reduzieren. Die Aussicht, das zu schaffen, ist in Offenbach aufgrund des kompakten Stadtgebiets und der geringen Höhenunterschiede sehr günstig“, so Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Groß. „Dafür braucht es dann aber auch die passende Infrastruktur, um sicher und schnell ans Ziel zu kommen.“
Auch Bau- und Planungsdezernent Paul-Gerhard Weiß betont die Notwendigkeit, das Radfahren in Offenbach attraktiver zu machen: „Die Infrastruktur der Stadt muss für alle Verkehrsarten optimiert werden. Das gilt für den Radverkehr genauso wie für den ÖPNV und den Individualverkehr. Das Auto ist für viele Menschen weiterhin wichtig, um zur Arbeit zu kommen. Deshalb wird die Stadt weiterhin im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten Straßen und Gehwege sanieren und den Verkehrsfluss beispielsweise durch digitale Ampelsteuerung optimieren. Davon profitieren alle Menschen im Verkehr. Das Auto kann aber keine so zentrale Rolle mehr spielen wie früher – das würde unsere Stadt auf Dauer nicht verkraften. Deshalb legen wir jetzt gemeinsam mit dem Radentscheid einen neuen Schwerpunkt auf den Radverkehr“, so Weiß.
Gemeinsamer Handlungsrahmen statt Bürgerentscheid
Weiß, Wilhelm und Groß loben die bisherige und weiterhin angestrebte Zusammenarbeit mit dem Radentscheid: „Wir haben auf Augenhöhe konstruktive und an der Sache orientierte Gespräche geführt. Die Akteure des Radentscheids haben mit großem Sachverstand und Engagement diese Vereinbarung auf den Weg gebracht. Das Ergebnis ist ein abgestimmter gemeinsamer Handlungsrahmen.“ Damit gehe die Stadt auf die berechtigten Interessen der Bevölkerung ein, betont Mobilitätsdezernentin Groß: „Hinter dem Radentscheid steht eine große Anzahl von Menschen in Offenbach, die sich eine stärkere Radförderung in Offenbach wünscht. Es muss anerkannt und akzeptiert werden, dass der Radentscheid rund 4.500 Unterschriften gesammelt hat. Das ist eine große Bürgerbewegung in Offenbach, die sich auch an der hohen Beteiligung der wiederkehrenden Fahrraddemonstrationen zeigt, an denen viele Eltern mit ihren Kindern teilnehmen.“ Die Vereinbarung mit dem gemeinsamen Handlungsrahmen ersetzt nun das ursprünglich angestrebte Bürgerbegehren. Obwohl diesem Begehren aus formalen rechtlichen Gründen nicht stattgegeben werden konnte, hatte sich der Magistrat gegenüber der Bürgerinitiative sofort bereit erklärt, mit ihr gemeinsam zu prüfen, wie die Infrastruktur für das Radfahren in Offenbach weiterentwickelt werden kann.