Bürgerbegehren „Radentscheid Offenbach" formal unzulässig / Magistrat bleibt im Austausch mit Initiatoren
Offenbach am Main, 24. Februar 2022 – Das Bürgerbegehren der Initiative „Radentscheid Offenbach“ ist aus rechtlicher Sicht unzulässig – der angestrebte Bürgerentscheid damit nicht möglich. Der Magistrat hat in seiner jüngsten Sitzung das Ergebnis der Prüfung durch das Rechtsamt zur Kenntnis genommen und die Vorlage zur finalen Entscheidung an die Stadtverordnetenversammlung weitergeleitet. Wie Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke mitteilt, hatte der Magistrat als zuständiges Organ gemäß den gesetzlichen Vorgaben in Hessen die rechtliche Prüfung in Auftrag gegeben und dabei zusätzlich auch den Hessischen Städtetag eingebunden, um einen Blick von außen zu ergänzen. Dieser bestätigte in einer ausführlichen Stellungnahme das Ergebnis der städtischen Prüfung, wonach das Bürgerbegehren „insgesamt […] als unzulässig anzusehen“ ist. Zwar erfülle das Begehren die formellen Anforderungen an Form, Frist und Verfahren, nicht jedoch die „materiellen Voraussetzungen“. Demnach betreffen die Forderungen der Bürgerinitiative überwiegend Maßnahmen, über die die Stadt nicht alleine entscheiden kann. Weiterhin sind die Vorschläge zur Finanzierung dieser Maßnahmen nicht hinreichend konkret.
„Es geht uns nicht um Paragraphenreiterei, sondern wir sind bei aller persönlichen Sympathie für eine bessere Radinfrastruktur schlicht und ergreifend an Recht und Gesetz gebunden. Und wir bewegen uns bei der inhaltlichen und finanziellen Dimension des Radentscheides nicht in einem Feld, bei dem man sagen könnte: Ihr als Stadt habt doch Auslegungsspielraum und könnt beide Augen zudrücken, weil wir doch das gemeinsame Ziel haben‘“, betont OB Schwenke mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die Stadt bewegen muss.
Bürgerbegehren mit dem Ziel, einen Bürgerentscheid (also die direkte Entscheidung der Wählerinnen und Wähler über ein Vorhaben) auf kommunaler Ebene zu erwirken, sind in Hessen nur über wichtige Angelegenheiten der Gemeinde zulässig. Angelegenheiten der Gemeinde sind solche, über die die Gemeinde selbst eine Entscheidung treffen kann. Handelt es sich um wichtige Angelegenheiten einer Gemeinde, entscheidet darüber in der Regel die Stadtverordnetenversammlung als gewählte Gemeindevertretung. Ein Bürgerentscheid ersetzt diesen Beschluss der Gemeindevertretung, wenn das dafür vorgelagerte Bürgerbegehren rechtlich zulässig ist. Grundsätzlich nicht zulässig sind Bürgerbegehren laut Hessischer Gemeindeordnung bei Angelegenheiten, die das Land auf die Gemeinden zur Ausführung übertragen hat und bei denen die Gemeinden staatlichen Weisungen unterliegen – wenn also die Gemeinde keine alleinige Zuständigkeit und damit gar kein alleiniges Entscheidungsrecht besitzt.
Hauptsächlich fordert der Radentscheid Offenbach straßenbauliche Maßnahmen für Radfahrende. Solche Maßnahmen sind – wenn sie überhaupt in die eigene Zuständigkeit der Stadt Offenbach fallen und nicht in die Zuständigkeit mehrerer Kommunen oder von übergeordneten Behörden wie HessenMobil – sogenannte Weisungsaufgaben, die die Stadt im Auftrag des Landes umzusetzen hat. Der geforderte jährliche Ausbau von Fahrradstraßen und Radwegen sowie die Planung von Fahrradbrücken betreffen im Wesentlichen Verkehrswege, die nicht in ausschließlicher kommunaler Zuständigkeit liegen, was insbesondere für die geforderten Brücken Isenburger Schloss/Fechenheim und Rumpenheim/Maintal gilt. Auch Maßnahmen, die nicht durch bauliche Veränderungen, sondern durch straßenverkehrsrechtliche Umsetzung verwirklicht werden können, stellen keine Angelegenheit in der alleinigen Zuständigkeit der Gemeinde dar, sondern sind eine staatliche Aufgabe, die von der Gemeinde per gesetzlicher Weisung auszuführen ist. Somit ist das Bürgerbegehren weder für bauliche noch für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zulässig.
Da es sich bei den geforderten Maßnahmen zur Radverkehrsförderung weiterhin um Vorhaben handelt, die Geld kosten, müssen Bürgerbegehren zudem hinreichende Vorschläge zur Finanzierung der Maßnahmen (sogenannter Kostendeckungsvorschlag) darstellen. Hierzu schreibt der Hessische Städtetag: „Der Kostendeckungsvorschlag muss neben einer nachvollziehbaren Kostenschätzung des Vorhabens auch einen konkreten Vorschlag enthalten, wie die entstehenden Kosten bei erfolgreicher Wahl gedeckt werden können.“ Der Gesetzgeber dürfe zwar keine unzumutbaren Hürden stellen. So müssen Bürgerinnen und Bürger nicht über juristische oder finanzielle Fachkenntnisse verfügen. Eine pauschale Angabe über geschätzte Kosten – in diesem Fall nennt die Bürgerinitiative eine Summe von 5,83 Millionen Euro pro Jahr – reicht jedoch nicht aus. Der Hessische Städtetag bemängelt, dass „[…] die Kostenschätzung insgesamt zu grob und nicht nachvollziehbar“ ist. Es werde nicht aufgeführt, wie viel Geld für welche Maßnahme genau verwendet werden soll. Mögliche unvorhergesehene Kostensteigerungen werden nicht thematisiert.
Zusammenfassend stellt der Hessische Städtetag im Einklang zur internen Prüfung durch den Magistrat fest: „Aufgrund der Erfolglosigkeit vergleichbarer Begehren in anderen hessischen Städten [ist] zu empfehlen, […] das Bürgerbegehren in der Stadtverordnetenversammlung abzulehnen“.
Die Bürgerinitiative Radentscheid hatte im Oktober 2021 einen Katalog von Forderungen und Unterschriftenlisten eingereicht mit dem Ziel, durch einen Bürgerentscheid die Bedingungen für den Radverkehr in Offenbach weiter zu verbessern. Von den 5.881 eingereichten Unterschriften waren 4.492 gültig – damit hatte die Initiative das notwendige Quorum erreicht, um die Stadt Offenbach zur nun abgeschlossenen Prüfung ihres Anliegens zu bewegen.
Ungeachtet der rechtlichen Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens betonen Oberbürgermeister Felix Schwenke sowie Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Sabine Groß, dass sie den Radverkehr in Offenbach mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt voranbringen möchten: „Die formale Ablehnung ist nicht das Ende das Radentscheids, sondern die Fortsetzung des Dialogs. Wir als Stadt werden weiter im Austausch mit der Bürgerinitiative bleiben, denn wir haben ein gemeinsames Ziel: den Radverkehr weiter zu fördern, sicherer und attraktiver zu machen. Wenn mehr Menschen in unserer Stadt mit dem Fahrrad zur Arbeit, zur Schule, zum Verein fahren, nutzt das auch denjenigen, die weiterhin auf das Auto angewiesen bleiben. Mehr Radverkehr bedeutet weniger Staus, weniger schädliche Luft, weniger Lärm und mehr Schutz für das Klima“, so Schwenke und Groß einhellig.
„Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind sinnvoll, um den Verkehr in unserer Stadt nachhaltig zu organisieren“, betont Schwenke ausdrücklich. „Wir müssen jedoch auch immer ehrlich bleiben bei der Frage, was die Stadt Offenbach in den kommenden Jahren finanziell zusätzlich leisten kann.“ Sabine Groß, die das Thema zukünftig federführend übernimmt, erinnert daran, dass die Stadt trotz der Herausforderungen im städtischen Haushalt für 2022 rund 300.000 Euro zusätzlich für Investitionen in die Radinfrastruktur eingeplant hat: „Dieses Geld ist neu, wir werden also 2022 nochmal mehr anstoßen können als in der Vergangenheit. Über zukünftige Maßnahmen werde ich mit dem Radentscheid im Austausch bleiben und gemeinsam mit unseren Fachleuten aus den Ämtern schauen, was in Umsetzung gebracht werden soll und kann. Ich danke den Initiatoren und Unterstützern des Radentscheids für ihr Engagement.“
Stadtrat Paul-Gerhard Weiß erinnert daran: „In den Ausbau des Radwegenetzes – wie von der Initiative gefordert – investiert die Stadt bereits seit 2007. So wurde das Netz kontinuierlich ausgebaut. Dabei wurden bewusst öffentliche und kulturelle Einrichtungen, Schulen, Kinderbetreuungs- und Jugendeinrichtungen, Sportanlagen sowie weitere Ziele in das Netz eingebunden. Mit der Region arbeitet die Stadt zusammen, um zusätzliche Radschnellverbindungen durch das Offenbacher Stadtgebiet zu schaffen. Weiterhin wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Schutzstreifen und Radfahrstreifen in den Stadtteilen und in der Innenstadt sowie bauliche Radwege (beispielsweise am Kaiserlei) geschaffen, wo der vorhandene Straßenraum dies zulässt. „Nicht immer war das in der Bevölkerung unumstritten, da es immer auch Interessenskonflikte gibt. Aber wir haben das konsequent durchgehalten. Die Aufteilung des knappen öffentlichen Raums in einer dicht besiedelten Stadt wie Offenbach rückt immer mehr in den Fokus und die Interessen innerhalb der Bevölkerung sind unterschiedlich. Ein offener Diskurs dazu ist wichtig und läuft beispielsweise gerade bei der Neuaufstellung des Verkehrsentwicklungsplans über die verschiedenen Beteiligungsformate“, sagt Bürgermeisterin Sabine Groß. „Für weitere Maßnahmen, die die Stadt selbst im Moment nicht finanzieren kann, werden wir immer auch versuchen, Fördergelder zu erhalten, um nach Möglichkeit die Infrastruktur für den Radverkehr noch weiter ausbauen zu können“, so Groß abschließend.